"Für starke Bürgerrechte in der digitalen Welt"




SPD-Sachsenhausen beschließt Antrag "Für starke Bürgerrechte in der digitalen Welt" auf Mitgliederversammlung am 29. Oktober 2013 für Landesparteitag

Die SPD ist auch im digitalen Zeitalter die Partei der Bürgerrechte. Die EU-Richtlinie 2006/24/EG verpflichtet Deutschland immer noch dazu, ein Gesetz zu erlassen, durch welches alle Telekommunikationsunternehmen angehalten werden, die Verbindungsdaten ihrer Kundinnen und Kunden mindestens sechs, höchstens 24 Monate zu speichern. Auf Verbindungsdaten von tatverdächtigen Kunden sollen die Ermittlungsbehörden der Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen zugreifen dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz, mit dem diese Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden sollte, für verfassungswidrig erklärt. Die SPD hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts begrüßt. Für uns ist klar: Datenschutz und Grundrechte müssen gestärkt werden. Nur in diesem Rahmen wäre eine Vorratsdatenspeicherung in Deutschland überhaupt möglich gewesen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung unter Führung von Frau Merkel hat es jedoch nicht geschafft, rechtlich Klarheit zu schaffen, denn das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren, wonach erst bei Verdacht auf Vorliegen einer Straftat die bei den Providern vorhandenen Daten „einzufrieren“ sind, bringt keinen zusätzlichen Nutzen, ist für die Gewährleistung einer effektiven Strafverfolgung untauglich und verletzt darüber hinaus rechtsstaatliche Grundsätze.

Die im Sommer 2013 bekannt gewordene Überwachung von Daten durch amerikanische und britische Geheimdienste ist ein Thema, dem sich die SPD stellen muss. Wir alle haben erfahren - obwohl Geheimdienste unsere Internetinfrastruktur gefährden – dass die EU an der Vorratsdatenspeicherung festhalten will. Durch die Enthüllungen Edward Snowdens wurden im Sommer 2013 die umfangreichen Spähprogramme der amerikanischen NSA und des britischen GCHQ bekannt. Viele Fragen sind jetzt offen: Wie viel und nach welchen Mustern überwachen Geheimdienste deutsche Bürgerinnen und Bürger? Wer hat davon gewusst? Waren deutsche Geheimdienste involviert? Die hessische SPD hält es deshalb für gefährlich, die Bürgerinnen und Bürger im Unklaren zu lassen. Denn Unsicherheit führt dazu, dass manche sich und ihre Kommunikation vorsorglich selbst zensieren. Es stünde also schlecht um die Freiheit. Es ist zu prüfen, solange die Sachverhalte nicht geklärt sind, die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen mit den USA auszusetzen.

Deshalb fordern wir sowohl die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag als auch die SPD-Fraktion im Europaparlament – mit Blick auf die Europawahl am 25. Mai 2014 - auf, sich umgehend mit diesem Thema zu beschäftigen. Denn gegen Deutschland läuft immer noch ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Nicht-Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Auch wenn der Europäische Gerichtshof Anfang 2014 entscheidet, ob die EU-Richtlinie mit den Grundrechten vereinbar ist, sollten wir uns jetzt - nach den bekannt gewordenen Vorfällen – positionieren: Für uns stellt die von der EU-Richtlinie geforderte Speicherungsverpflichtung einen gravierenden Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der Nutzerinnen und Nutzer von Telekommunikationsdiensten dar. Wir werden uns deshalb auf europäischer Ebene für eine Revision der EU-Richtlinie einsetzen. Dazu ist es notwendig, dass der SPD-Bundesparteitag seine Beschlüsse betreffend der Vorratsdatenspeicherung auf den Prüfstand stellt, um grundsätzlich zu klären, ob die SPD an ihrem Parteitagsbeschluss vom November 2011 und der „anlasslosen Speicherung“ festhalten will.

Als problematisch sehen wir Sozialdemokraten auch die bereits ohne gesetzliche Verpflichtung existierenden Datensammlungen bei Telekommunikationsunternehmen an: Diese speichern sensible Daten teilweise bis zu 180 Tage für technische Zwecke oder aus Gründen der Abrechnung. Sollte die SPD-Fraktion im Hessischen Landtag ab 2014 in Hessen regieren, fordern wir sie auf, im Bundesrat eine Initiative auf den Weg zu bringen, das für die Speicherung und den Zugriff durch Dritte auf die von Telekommunikationsanbietern gespeicherten Daten endlich einen klaren gesetzlichen und einheitlichen Rahmen für alle Unternehmen setzt.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürgern wird insbesondere durch die kommerzielle Sammlung und Verknüpfung von personenbezogenen Daten, deren automatisierte Auswertung sowie einem ausufernden, unkontrollierten Datenhandel seitens privater Unternehmen zunehmend ausgehöhlt. Deshalb bedarf es eines gesetzlichen Verbotes, aus personenbezogenen Daten individuelle Verhaltensprofile zu erstellen, wenn die Betroffenen eine solche Profilerstellung nicht ausdrücklich angefordert haben. Angesichts des Geschäfts mit Personendaten müssen die bereits bestehenden Aufsichtsstrukturen überprüft und gegebenenfalls ausgebaut und weiterentwickelt werden. Wir werden deshalb im Bundesrat eine Gesetzesinitiative zur Modernisierung des Datenschutzes einbringen.

Begründung:

Was wir gerade mit der NSA und Prism erleben, ist eine Realität gewordene Allmachtsfantasie. die Präventionsidee ist übermachtig geworden. Wir verhindern also Taten, bevor sie mehr als Gedanken sind. Jeder weiß, wie viele Unschuldige so ein Weltbild fordert. Bis in die Weimarer Republik haben Spitzel Sozialdemokraten begleitet. Wir wissen das, weil ca. 20 Prozent von Ortsvereinsgeschichten aus Polizeidokumenten stammen. Das haben wir nicht vergessen.  Und ja, Sozialdemokraten, machen auch Fehler - es gab immer wieder Kompromisse, die zu weit gingen. Aber: Wir sind auch bereit, zu korrigieren.

Es geht sicher auch um Transparenz. Jede Bürgerin und jeder Bürger muss wissen: Wer gibt was über wen weiter! Es geht sicher auch um Aufklärung. Aber: In erster Linie steht nun das „Menschenrecht auf Privatheit“ zur Disposition. Millionen unschuldige Bürgerinnen und Bürgern zu bespitzeln ist ein Anschlag auf Demokratie und Verfassung und Demokratie. Nur ein Obrigkeitsstaat misstraut seinen Bürgern, für ihn ist Kontrolle essentiell. Eine Demokratie zeugt ihren Bürgern Vertrauen, sonst hört sie auf, eine Demokratie zu sein. Der Kern dieses Vertrauens ist die Unschuldsvermutung. Was wir im Sommer 2013 erlebt haben, ist die Umkehrung der Unschuldsvermutung zu einem Generalverdacht. Das bedroht den Kernbestand von Demokratie. Wenn alles ausgespäht wird, geht es nicht mehr um Sicherheit, sondern um Gesinnung. Die Ausspähung von Gesinnung ist jedoch ein Anschlag auf unsere Demokratie. Es geht dann auch nicht mehr um ein Abwägen zwischen Freiheit und Sicherheit. Die Bedrohung von Freiheit entsteht schon dann, wenn Menschen nicht mehr darauf vertrauen können, frei zu kommunizieren. Wo alle Freiheit in Gefahr ist, gibt es nichts mehr abzuwägen. Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.

Was wir jetzt benötigen, ist ein neuer gesellschaftlicher Konsens. Denn: Es ist Konsens, dass das Briefgeheimnis nicht angetastet wird. Auch das Recht auf „Unverletzlichkeit der Wohnung“ ist in unserer Gesellschaft Konsens. Aber: Es gibt bislang keinen breiten Konsens für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht auf Unverletzlichkeit von persönlichen Daten.  Denn: wir „spüren“ es nicht, wenn unsere Daten verletzt werden, da dies nur ein virtueller Vorgang ist.

Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist seit dem Volkszählungsurteil von 1983 ein vom Grundgesetz geschütztes Gut. Vor dreißig Jahren hat das Bundesverfassungsgericht bereits auf die Gefahr für unsere freiheitliche Grundordnung hingewiesen, die für Betroffene durch unkontrollierte Datensammlungen unter den Bedingungen moderner Informationstechnik entstehen. Zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht damals gefordert, dass die freie Entfaltung der Persönlichkeit auch unter modernen Bedingungen der Datenverarbeitung gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe von persönlichen Daten geschützt werden muss. Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet deshalb grundsätzlich, dass jeder Einzelne selbst über Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten bestimmen muss. Einschränkungen der informationellen Selbstbestimmung sind für uns daher nur auf gesetzlicher Grundlage zulässig.

Wir treten deshalb konsequent für die informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger ein – sowohl gegenüber dem Staat als auch gegenüber der Wirtschaft. Wo staatlicherseits Sammlungen personenbezogener Daten erstellt werden, beispielsweise die DNA-Datenbank des BKA oder auch die elektronische Patientenakte auf der elektronischen Gesundheitskarte, müssen strenge gesetzliche Sicherheitsbestimmungen gelten, deren Einhaltung regelmäßig und umfassend kontrolliert wird. Dies hat auch für den internationalen Austausch von Daten zwischen Polizei und Geheimdiensten zu gelten.