Der neue Henninger-Turm - Eine Geschichte, dass auch Sozis etwas gebacken bekommen


© Petra Tursky-Hartmann - Grafik von Otto Leis 1961,
Museum Musenkuss
Der 1961 errichtete und 2013 abgerissene Henninger-Turm des Architekten Karl Emil Lieser war mit seinen knapp 120 Metern Höhe nicht nur eines der markantesten Wahrzeichen, sondern bis 1974 auch das höchste Bauwerk in Frankfurt. 2012 entschied die schwarz-grüne Stadtverwaltung, das alte Getreidesilo abreißen zu lassen, damit an gleicher Stelle ein neues Wohnhochhaus errichtet werde. Dass es dazu überhaupt kam, hat nicht nur mit Schwarz-Grün, sondern auch ein bisschen mit der SPD-Sachsenhausen zu tun.

Doch erzählen wir die Geschichte von Anfang an. 1971 ist meine Oma mit meinen Schwestern und mir nach Frankfurt gefahren. Der Henninger-Turm war damals ja die riesen Attraktion für ein Landei wie mich. Und eine sehr luxuriöse Angelegenheit für eine Elf-jährige, im Drehrestaurant wie Prinzessin auf der Erbse eine Tasse heißen Kakao und ein Stück Erdbeerkuchen mit Sahne serviert zu bekommen. Als 2002 der Turm - und somit auch das Restaurant im "Fäßchen" - aufgrund von Brandschutzauflagen geschlossen wurde, habe ich mich geärgert. Denn ich hatte es verpasst, mit meinen Kindern die Familientradition fortzusetzen, den Ausblick über die Stadt mit Kakao und Kuchen zu genießen.

© Petra Tursky-Hartmann - Abriss Henninger-Brauerei 2005
Die Zeit verging. 2005 hatte die Firma Actris mit dem Abriss des Henningerareals begonnen, nachdem der Mannheimer Unternehmer Dietmar Hopp die Mehrheit an der Brauerei übernommen hatte. Auf dem Gelände sollten neue Büros und Wohnungen gebaut werden. Nur der Henninger-Turm sollte unangetastet bleiben. Wie eine Art Dornrösschen. Wobei allen beteiligten Politikern klar war, dass man die Entscheidung nicht 100 Jahre würde herauszögern können, bis ein Prinz mit dem nötigen Kleingeld vorbeiritt.

SPD Sachsenhausen will "Abriss und Neubau in der Silhouette"

Es ging dann doch etwas schneller. Am 11. August 2008 hatten die Sachsenhäuser Sozialdemokraten zur turnusmäßigen Vorstandssitzung in den SPD-Laden im Heimatring 1 eingeladen. Man diskutierte über dies und das, wie zum Beispiel die Folgen der Landtagswahl in Hessen. Auf der Tagesordnung stand unter "Ortsbeirat" der Vorschlag von CDU und Grünen, den Henninger-Turm aufgrund baustatischer Probleme „ummanteln“ zu lassen. Dazu vermerkt das Protokoll außer "Heiterkeit" folgendes:

© Petra Tursky-Hartmann
Blick vom Goetheturm auf die Frankfurter Skyline 2008
Top 4  Berichte: Petra Tursky-Hartmann beauftragt Silvia Raabe im Ortsbeirat einen Antrag zum „Henninger Turm“ zu stellen. Die  Problematik der Nutzung des Gebäudes (vorgesehen war von CDU und Grünen eine Ummantelung, die die typische Schlankheit des Turmes beeinträchtigt, Anm. d. Verf.) -  auch in Bezug auf den in Aufstellung befindlichen Bebauungsplanes - wurde diskutiert. Einigkeit bestand darüber, dass der „Henninger Turm“ ein Wahrzeichen Sachsenhausens ist und die Identifikation der Bürger mit dem Turm und des Drehrestaurants erhalten bleiben sollte. Als Möglichkeit einer Problemlösung wird eine wirtschaftliche Lösung verabschiedet (Neubau in der alten Silhouette plus Architektenwettbewerb), sowie die Nutzung des Geländes mit Wohnungen und eine Befragung der Sachsenhäuser Bürger. Saskia Wiese wird hierzu auf der Website des Ortsvereins eine Umfrage einrichten. 

Ich muss an dieser Stelle meinem damaligen Stellvertreter Klaus Pape danken. Er fand meine Idee – Abriss und Neubau – interessant, wies aber als erfahrener Amtsleiter darauf hin, dass wir (also die Sozis) „in der alten Silhouette“ fordern sollten, dann habe ein Investor auch den notwendigen finanziellen Spielraum, damit sich so ein Projekt rechne. Wir waren uns alle einig, dass der nicht denkmalgeschützte Turm auch mit Ummantelung in sich weiter verrotten würde. Und die von Schwarz-Grün vorgetragene Problemlösung uns keinen Meter näher an unser Ziel bringen würde, da oben wieder gepflegt ("Draußen nur Kännchen!") Kaffee zu trinken.

© Petra Tursky-Hartmann - Logo SPD Sachsenhausen 2006
Nun muss man wissen, dass die Sachsenhäuser Sozialdemokraten im Sommer 2008 politisch in Frankfurt nicht wirklich etwas mitzubestimmen hatten. Denn seit der Kommunalwahl im März 2006 regierte in Frankfurt ein schwarz-grünes Bündnis. Und diese "Koalition des Realismus“ (O-Ton Petra Roth, ehemalige Oberbürgermeisterin) setzte in der Stadtentwicklung nun einmal andere Prioritäten (wie z. B. marode Türme zu ummanteln) als die Roten. Damit die Öffentlichkeit von unserer visionären Idee erfuhr, verkündeten wir am 24. August 2008 per Presseerklärung, welche Lösung die Sachsenhäuser Sozis sich für den Henninger-Turm ausgedacht hatten.

Schwarz-Grün will Ummantelung

© Petra Tursky-Hartmann - Henninger-Turm "Back dir Deine Stadt"2008
"Die SPD Sachsenhausen hat die Diskussion um die Aufstellung des Bebauungsplanes für das Henninger Areal mit großem Interesse verfolgt. Nicht zu Ende gedacht sei bislang die Zukunft des Henninger-Turms. „Wer den Henninger-Turm ernsthaft erhalten will, muss sich jetzt mit seiner wirtschaftlichen Nutzung auseinandersetzen“, fordert die Sachsenhäuser SPD Vorsitzende Petra Tursky-Hartmann. Die Frage des Umgangs mit dem Henninger-Turm sei eine äußerst sensible, jedoch keine denkmalschutzrechtliche Frage. „Wir wollen diesen vertrauten Orientierungspunkt als Hauptwahrzeichen von Sachsenhausen behalten. Eine leerstehende Getreidesilokammer wäre natürlich über kurz oder lang dem Abriss preisgegeben“, stellt Sylvia Raabe, SPD-Fraktionsmitglied im Ortsbeirat 5, fest. Deshalb fordere die Sachsenhäuser SPD den Neubau des Henninger-Turms in der bisherigen Silhouette mit öffentlich zugänglichem Dachrestaurant. ...  Ziel sei, dass der Turm auch in Zukunft von der Industriegeschichte dieses Geländes zeuge. Darüberhinaus sei der Henninger-Turm immer auch eine touristische Attraktion gewesen, beispielsweise für das Traditionsrennen „Rund um den Henninger Turm“. „Die Sachsenhäuser SPD will der Bevölkerung diese touristische Attraktion zurückgeben“, so Tursky-Hartmann. Deshalb fordern die Sachsenhäuser Sozialdemokraten einen Wiederaufbau in der bisherigen Form mit Dachrestaurant für die Öffentlichkeit mit Aussicht auf Frankfurt. Die von Schwarz-Grün geplante Ummantelung des Henninger-Turms nehme dem Sachsenhäuser Wahrzeichen dagegen sein typisches Erscheinungsbild. „Unser Ziel ist, den Henninger-Turm als berühmtes Wahrzeichen Frankfurts zu erhalten“, sagt Sylvia Raabe. Deshalb fordern die Sachsenhäuser Sozialdemokraten den CDU-Planungsdezernenten auf, die jetzige Silhouette und das Restaurant auf dem Dach in der verabredeten Planungswerkstatt festzuschreiben. „Wir wollen eine Zukunft für den Henninger-Turm und kein wie auch immer ummanteltes Getreidesilo, das irgendwann abgerissen werden muss“, so Tursky-Hartmann. (Auszug aus der Presseerklärung)

© Petra Tursky-Hartmann
FNP Bericht Henninger-Turm Zukunft weiter offen 2008
Die Reaktion von CDU und Grünen waren so vorhersehbar wie die Reflexe der Pawlowschen Hunde beim Klingeln einer Glocke. "Das wäre reine Geldverbrennung" hat damals Jochem Heumann, Vorsitzender der CDU Sachsenhausen und planungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Römer in jedes Mikrofon trompetet. "Wir sind anderer Meinung, denn der Erhalt der Bausubstanz ist ökologisch gesehen oft der bessere Weg", unterstützte ihn Mark Gellert, Sprecher von Olaf Cunitz im Stadtplanungsamt. ("Ein Wahrzeichen im Wartestand", 03.09.2008)

Da wir in der Frage „Quo vadis Henninger-Turm“ mehr Wert auf die Meinung der Frankfurter Bevölkerung statt der unserer politischen Mitbewerber legten, hatte Saskia Wiese, die für die Homepage des Ortsvereins verantwortlich war, unter "www.spd-sachsenhausen.de" eine Umfrage eingerichtet, wo die Bevölkerung über die Zukunft des Henninger-Turms abstimmen konnte. Vier Alternativen standen zur Wahl: 1. Wiederaufbau des Henninger-Turms nach Abriss in der jetzigen Form mit öffentlich zugänglichem Dachrestaurant. 2. Ummantelung des Henninger-Turms, mit dem Risiko, die typische Silhouette zu zerstören. 3. Kompletter Abriss des Henninger-Turms für Wohnbebauung. 4. Nichts tun und abwarten. .... Das Ergebnis war überwältigend.

Bevölkerung stimmt für Wiederaufbau des Henninger-Turms mit Dachterrasse

© Petra Tursky-Hartmann
Henninger-Turm Internet Umfrage SPD Sachsenhausen 2008
Eine breite Mehrheit (65 Prozent) stimmte für den Wiederaufbau des Henninger-Turms mit Dachrestaurant. Lediglich acht Prozent der knapp 1.300 Personen, die vom 24. August bis 27. September an der Online-Abstimmung teilgenommen hatten, votierten für die Umsetzung des Konzepts einer Ummantelung von Schwarz-Grün. Am meisten hat mich überrascht, dass sich 20 Prozent der Befragten sogar für einen kompletten Abriss des Henninger-Turms zugunsten von noch mehr Wohnbebauung ausgesprochen hatten. Und sieben Prozent der Befragten wollten dagegen weiter abwarten und keine Entscheidung treffen. Damit war der Vorschlag von Schwarz-Grün durchgefallen. (Journal-Frankfurt, 14.10.2008)

Das Ende der Geschichte ist dann schnell erzählt. 2012 hat der Architektenwettbewerb der Actris AG die Weichen für den neuen Henninger-Turm gestellt. Der Entwurf des Frankfurter Büros „Meixner Schlüter Wendt Architekten“ gewann den ersten Preis. Das einstimmige Urteil begründete die Jury, "dass die Architekten trotz Abriss und Neubau den Bau als "emotionales Denkmal" erhalten, indem sie die markanten Merkmale – die schlanke Scheibe, das charakteristische Fass und das Turmartige – neu interpretieren und dennoch wiedererkennbar gestalten."

© Petra Tursky-Hartmann
Henninger-Turm Neubau 2015
Der Henninger-Turm ist als wiederauferstandenes Wahrzeichen von Sachsenhausen schon lange nicht mehr zu übersehen. Ende 2016 wird der 140 Meter hohe Wohnturm bezugsfertig sein. Viele der 207 Luxuswohnungen mit Mehrfach-Verglasung gegen Fluglärm sind bereits verkauft.

Einen Wermutstropfen gibt es allerdings. Das neue Restaurant im „Fäßchen“ an der Spitze wird sich nicht drehen. Und ob es ein so beliebtes Ausflugsziel wie in den Siebzigern wird, bleibt abzuwarten. Was das betrifft, bin ich auf die Preise für eine Tasse Kakao und ein Stück Erdbeerkuchen mit Sahne gespannt.

6. Mai 2016 - Zimmer mit Ausblick - Ein Nachtrag

Durch die "Nacht der Museen" habe ich einen Ausflug auf die Baustelle gewonnen. In den 29. Stock. Der Ausblick auf die Skyline ist phänomenal. Vielleicht noch mit dem Anflug auf den Frankfurter Flughafen zu vergleichen. Wobei die Sechs-Zimmer-Wohnung noch zu kaufen ist. Okay, für einen Sozi wie mich leider unerschwinglich. Wenn solche Gedanken die politische Leitschnur für Stadtpolitiker gewesen wären, dann hätte man an der Traufhöhe mit dem Bauen aufhören müssen.

© Petra Tursky-Hartmann, 
Henninger-Turm, 29. Stock, Nord-Blick 2016
Rückblickend empfinde ich es als viel wichtiger, sich durch der Gezacker der politischen Mitbewerber nicht aus dem Takt bringen zu lassen. Wir haben an die Idee geglaubt, dass es sich lohnt, den Henninger-Turm als Wohnhochhaus wieder aufzubauen. Und darüber, dass das wirklich geklappt hat, und das Restaurant kurz unter dem Himmel Wirklichkeit wird, darüber habe ich mich im "Zimmer mit Ausblick" am allermeisten gefreut.